O - Obacht
Omas gegen Rechts
Vier Reihen streuen über den schon vollen Platz. Der kurze Blick nach links provoziert ein unsichtbares Augenzwinkern. Dann der erste Schlag. Das Pflaster trägt den Schwung in die Körper des Platzes. Eine Welle weiterer Schläge reagiert. Es ergibt sich schnell ein Rhythmus. Er ist nicht fein, nicht melodisch. Auch außerhalb von Synchronizität treffen sie doch alle den richtigen Punkt. Ihr Trommeln ist nämlich keine Musik.
Es ist eine Ansage.
Heute ist der 8. März, der feministische Kampftag - nicht nur heute, aber an diesem Tag wird er auf den Straßen und Plätzen ausgetragen. Einer dieser Orte ist der Nettelbeckplatz im Berliner Wedding. Von den früh-kalten Strahlen der Märzsonne bis diese tief am Horizont steht, fällt hier vor allem eine Gruppe auf.
Ihre Statuten beschreiben:
“Die ältere Frau als politische Kraft ist im gesellschaftlichen Bewusstsein nicht verankert. Deshalb müssen Frauen öffentlich auftreten, nicht als Einzelperson und Ausnahme, nicht als Star, sondern als Gruppe, die auffällt…”
Deshalb trommeln sie so laut rum. Ihre Anstecker sieht man unter rotem, schwarzem und silbernem Haar überall auf dem Platz aufblitzen. “OMAS GEGEN RECHTS” steht da drauf.
“...eine gemeinsame starke Stimme für die Zukunft aller Kinder und Enkelkinder bilden ist die Herausforderung der Stunde. Denn vielleicht werden sie uns eines Tages fragen: Was habt ihr getan?”
Omas gegen Rechts - das heißt Omas für Menschenwürde. Für lebendige Demokratie. Gerechtigkeit. Gerechtigkeit? “Mittlerweile sind viele dieser Begriffe von Rechts annektiert worden. Doch für sie bedeuten sie etwas anderes. Denn ihre Forderungen gelten immer nur für ihre eigene Peer Group”, grätscht Susanne ein. Sie leitet die AG Argumente gegen Rechts der Omas gegen Rechts Berlin. Gerechtigkeit, zum Beispiel, umschließe Systemfragen. Mit ihr hätten wir kein Klimaproblem, auch keine autoritären Regierungen. “Und das ist keine linke Gesinnung, auch keine Meinung. Das sind wissenschaftlich belegte Fakten. Wachstum schadet allen, außer sehr privilegierten Gruppen”, schließt Franziska an. Sie ist Leiterin der Berliner Südwest-Omas. “Das Problem ist, dass Rechte immer ziemlich laut sind und deshalb ziemlich große mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Und das ergibt den Anschein, dass sie ‘das Volk’, die Mehrheit, sind.” Sie sehe es deshalb als Teil ihrer Aufgabe, der schweigenden Mehrheit eine Stimme zu geben.
“Ich halte eine rechte Regierung nicht für ausgeschlossen”, meint sie später. “Das macht mich wütend. Und ich hoffe immer, dass die Wut und das Engagement über die Mutlosigkeit und die Angst siegen.” Susanne stimmt ihr zu. “Man braucht ab und zu den Zorn, um sich aus der Hilflosigkeit zu holen.”
Also Omas für Gleichberechtigung. Für das Schweigen-Brechen. Dampfablassen und Aufbegehren. “Wir sind ältere, nette Damen. Wir kommen erstmal nicht unbedingt konfrontativ daher”, meint Susanne. “Klar, wenn Leute kommen und meinen: ‘Wir finden euch so süß!’ ist das irgendwie auch so-lala. Aber es ist natürlich auch ein Sympathie-Vorteil.” Da schließt sich auch Elisabeth an. Sie engagiert sich schon ewig, schon immer eigentlich. Vor den Omas gegen Rechts war sie bei den Raging Grannies in den USA. Nebenbei gibt sie Sprachkurse für Geflüchtete. Sie berichtet, dass sie immer wieder positiv auf die Sticker angesprochen wird, die überall auf ihrem Maserati kleben. Damit meint sie ihren Elektro-Rollstuhl. Auch wenn Humor ein wichtiger Treiber der Bewegung ist: Ihr Anliegen ist ernst.
Vor allem die Wechsel- und Nichtwähler würden sie zu erreichen versuchen. “Ich denke, als Omas haben wir da eine gute Chance, weil wir keinen Partei-Stempel haben. Wir werden vielleicht als bürgerliche Mitte wahrgenommen und können da ganz gut ins Gespräch kommen. Das ist das, was ich hauptsächlich mache, nicht nur auf der Straße. Auch mit meinen Kolleg:innen und der Familie.” Der Ursprung ihrer Motivation dabei ist sehr verschieden.
Susanne berichtet von dem glühenden nationalsozialistischen Stolz ihrer Eltern, der diese später in tiefe Reue stürzte. Elisabeth’s aktivistischer Samen wurde in einer ganz gegenteiligen Situation gesetzt, aufgewachsen in einer durch Nationalsozialisten ermordeten Familie. Franziska bewegen vor allem die aktuellen Bewegungen, wie die im Iran. Und generell Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens andere schützen. “Da stellt man sich schon mal die Frage: Wie weit würden wir gehen für den Widerstand? Ich bin ehrlich: Ich kann es nicht genau sagen”, gibt Susanne ein. Franziska überlegt kurz. Dann sagt sie: "Vielleicht ist es schon bedeutend, dass wir uns das überhaupt fragen.”