SEARCH…
Das Suchen ist ein dynamischer Prozess, der verschiedene Formen annehmen kann. Manchmal beginnt er mit einer einfachen Anzeige auf Ebay-Kleinanzeigen. Auf der Plattform treffen die unterschiedlichsten Gesuche und Angebote aufeinander. Zwischen antiken Vasen und Babysittenden finden sich auch Menschen mit persönlichen Anliegen. Im Projekt “Search…” werden die Suchenden gefunden und ihre Geschichten gezeigt. Denn hinter jeder Suche scheint ein Wunsch zu stecken, der persönliche Geschichten birgt.
Juri, sucht Gemeinschaft beim Eisbaden
Wenn alle im Wasser sind, ist es egal, wie man reingekommen ist. Jeder hat so seinen eigenen Weg, das Eisbaden zu lernen. Juri’s Schlüssel liegt in der Vorbereitung. Der wichtigste Teil des Badens passiert am Ufer. Er ist ausdauernd. Doch in dieser Ruhe steckt viel Bewegung. Beim Eisbaden geht es um Extreme, um den Kampf gegen sich selbst. Keiner will unter die kalte Dusche. Das Gefühl danach, der Rausch der Hormone, das ist die Belohnung.
“Dieser Kampf - jeder Mensch hat den. In unterschiedlichen Lebenslagen.”
Ihn im Eisbaden auszutragen, ist für viele ungewöhnlich. Eisbadende findet man nicht einfach so im Umfeld. Juri’s Suche bedeutet zu finden, was er nicht unmittelbar um sich herum hat. Und dabei offen für verschiedene Formen des Fundes zu sein. Mit einigen Eisbadenden ist er dauerhaft im persönlichen Austausch - ohne jemals gemeinsam in See gewesen zu sein. Eisbaden ist auch aktivistisch. Es bietet neue Narrative, stemmt sich gegen Erzählungen von der bösen Kälte, dem bösen Luftzug, dem Schal als Attitüde. Sich denen zugehörig fühlen, die man zuvor als verrückt verstand. Das bildet Gemeinschaft. Und Eisbaden braucht Gemeinschaft: Um die noch unentdeckte Leidenschaft zu teilen, für den Push, auch wegen der Risiken. Vor der Kälte zieht die Wärme in den Körper ein. Zum Kaltwerden muss man sich warm machen. Zielstrebig steuert Juri auf den See zu. Vor der ersten Berührung mit dem Eiswasser stoppt er. Entspannung fährt durch seinen gespannten Körper. Gleichmäßige Schritte geleiten ihn in eisige Kalt, ganz langsam taucht er ab.
Uta, sucht ein Enkelkind
Eine Frau und ein Mann: Sie sitzen an einem Tisch, der einlädt. Er schwebt in der Luft - der Wunsch, an diesem Tisch nicht genug Stühle für alle Gäste zu haben. Und dieser herrliche Garten, der nach Kindern ruft, die mit den Hunden auf den Wiesen tanzen und mit den Fischen durch das Wasser streifen. Es ist ein Wunsch, der mit dem Lauf des Lebens verbunden ist. Einer, der scheinbar nur durch das Schicksal erfüllt werden kann. Doch ist es auch eine Sehnsucht, die so endlos tief ist, wie mütterliche Liebe.
Für Uta ist es der Versuch, sich vom Schicksal loszulösen, dass sie nicht Oma werden lassen hat. Die Suche nach einem Enkelkind wird dabei zu einer Form von Selbstbestimmung. Und Selbstbefreiung. Befreiung von von ihrer verlorenen Familie.
Als Einundzwanzigjährige kam ihr erster Sohn, der nach zu wenigen Jahren wieder ging. Auf den Tod des Bruders reagiert der zweite Sohn mit Ablehnung seiner Mutter gegenüber. Als sie uns tiefer in die Geschichte lässt, wird ihr Blick zum ersten Mal stumpf. Sie blickt an uns vorbei. Auch der zweite Sohn verlässt sie. Der dritte Sohn entwickelt eine Computersucht. Sie hatte wegen der Arbeit immer weniger Zeit für ihn, erzählt sie daraufhin. Eigentlich erzählt sie es nicht, sie wirft es sich vor. Der Sohn wuchs vermehrt bei seiner Oma auf, die familiäre Beziehung gilt mehr ihr als Uta. An ihr hat sie das Oma-Sein zum ersten Mal miterlebt. Doch sie blieb allein. Dreizehn Jahre.
Als sie beschloss weiterzugehen, konnte sie so gut wie nicht mehr laufen. Christian begleitet sie auf ihrem Weg. Wenn er in die Weite guckt, schaut sie geradeaus. Er träumt, sie wünscht. Ein Enkelkind: Das bedeutet für sie Hoffnung. Für ihn Überraschung. Eigentlich hat sie sich immer schon für diese Rolle gemacht gefühlt. Auf den Wiesen und unter den Sonnenschirmen hält sie ein Zuhause bereit. Uta ist schon längst Oma, auch ohne Enkel.
Heike, sucht Hilfesuchende
Es dauerte nicht lange, da war die Selbsthilfegruppe schon voll mit Interessierten. Die Gründerin Heike ist eine Betroffene, die helfen möchte. „Ich war eigentlich schon immer ´ne Mutter Theresa, aber irgendwie is‘ nie was zurückgekommen“, erzählt die Zweiundfünfzigjährige in rauchigem Berlinerisch. Die Bonnie-Tyler-Stimme ist ein Resultat von dreiunddreißig Jahren hinter der Theke einer Neuköllner Stammkneipe. Mit der Stimme verklang ihr inneres Glück. Mit dem Alkohol ertrank sie in Trauer.
Zweimal wäre sie fast daran gestorben, am seelischen Schmerz. Mehrere Male fand sie sich in Krankenhäusern und Kliniken wieder. Jedes Mal fühlte sie sich verlassen, bekam keine echte Hilfe, keine Therapie. „Dann bekommt man wieder Knorpeljucken. Und da hab’ ich mir wieder die Flasche Sambuca rein geknebelt.“
Zurück zum Alkohol. Zurück in der Kneipe. Der Ort, der sie verletzt und sie getragen hat. Und sie, die von der Theke aus selber viele gehalten hat. Unbeugsam stehend zwischen den Schicksalen. Unbeirrt Heike zu sein heißt auch, sich gegen das eigene Schicksal zu stellen. Sich dem zuzuwenden, was man erhofft.
Mit ihrem ganzen Sein verkörpert sie Standhaftigkeit. Und Lebensmut. So hat sie sich immer wieder dem Leben geöffnet.
Heike ist immer noch ab und an in den Neuköllner Stammkneipen zu treffen. Sie hört dort immer noch den Leuten zu - mit einer Kaffeetasse in der Hand. Jede wiedergewonnene Stärke nutzt sie, um Anderen Raum zu geben. Auf der Suche nach Menschen, denen sie mit ihren eigenen Erfahrungen helfen kann, fand sie auch ein neues Ich. Eines, das positive Erfahrungen aus eigener Kraft machen kann.
Sarah, sucht Heimat
So unscheinbar Sarahs kleine Wohnung am Berliner Gesundbrunnen von außen scheint, birgt sie doch eine ganze Welt in sich. Wie Spiegel ihres Innenlebens behängen Bilder um Bilder ihre Wände. Sarah verkörpert die Hybridität von Kultur. Das Deutsche interessiert sie weniger, seit dem Tod ihrer Mutter. Das Äthiopische umso mehr, seit dem Tod ihres Vaters.
Er starb, einen Tag bevor sie das Flugticket nach Afrika einlösen konnte. Das Versterben der Eltern verwehte das Band ihrer kulturellen Herkunft im Wind der Haltlosigkeit. Die Vorstellung von Heimkehr nach Äthiopien verblasste ohne den Vater. Geblieben ist eine Distanz zum Land, seiner Politik und Gesellschaftsstruktur.
Und so sucht sie nach dem, was Heimat noch für sie bedeuten könnte. Sie findet es im intensiven Geschmack der äthiopischen Küche, in der Intimität der Kunst, in dem kulturtypischen Zusammenhalt. Findet es in Menschen, an den sie sich anlehnen kann, während sie ihnen gegenübersteht. Und in Begegnungen, die ihr Hinweise zu sich selbst geben.
Dennoch scheint es ihr als könne sie ihre äthiopischen Erfahrungen hier kaum nachbilden. “Vielleicht ist meine Heimat am Ende doch Deutschland. Und die Suche nach Heimatlichkeit im Äthiopischen letztendlich märchenhaft.”
Die Suche als Sage. Das Suchen als Mysterium. Denn zu suchen bedeutet, nicht hundert Prozent zu wissen, was man überhaupt finden kann. Vielmehr ist es ein assoziativer Prozess. Vielleicht ist das Suchen als solches am Ende weniger bedeutsam, als das Unerwartete auf dem Weg zu finden.
Nik, sucht Andere mit Armbrust
Hier im Grunewald darf man keine Pfeile schießen. Die Welt des Armbrustschießens spielt sich an verschlossenen Orten wie Hinterhöfen und Kellern ab. „Im eigenen Haus lernt man keine neuen Leute kennen“, erklärt Nik. Er sieht eindrucksvoll aus mit der schwarzen Sportarmbrust über den Arm. Vielleicht auch etwas dornig, mit den spitz-gegelten Haaren und der verschlossenen Miene. Doch schimmert auch ein kleines, freundliches Licht durch sein Auftreten. In seinen Erzählungen funkelt Sorgsamkeit auf.
Wie ein Wolf wandert er durch den Wald. Die meiste Zeit ist er nur mit sich. Nur allzu gern schießt er, allein und nervengekitzelt, einen Pfeil nach dem anderen durch den Keller. Doch der Wolfsnatur nach wünscht auch er sich Gemeinschaft. Auf seiner Suche nach anderen Gleichen schwankt er zwischen Rückzug und Rausriss. Sonntags raus in den Wald, der Ruhe bringt. Doch dann auch voller Menschen ist, die vielleicht auf einer ähnlich schwankenden Suche sind. Neuerdings gibt es in seiner Region kleine Treffen mit Anderen mit Armbrust. Dort bildet sich etwas von der Gemeinschaft ab, die Nik sucht.
Doch seine Suche ist damit nicht beendet. Denn das Suchen hat etwas beständiges an sich. Etwas zu finden bedeutet nicht, dass man aufhört zu suchen.
Mathé, sucht Anschluss
Ursprünglich im Sehnen nach dem Größeren, Weiteren, verkroch sich Mathé wieder in denselben Lesungen, Konzerten und Theaterstücken wie zuvor in den Niederlanden. Doch will er auch alles drumherum kennenlernen und begibt sich dafür auf die Suche nach dem, was Berlin für ihn bereithält. Er hat schon einmal gesucht: Auf den niederländischen Kleinanzeigen, ein Bandmitglied, mit zehn Jahren. Erfolgreich. Nun, in seinen Zwanzigern, ist die Suche existenzieller.
Seit Mathé in Berlin ist, sucht er substantiell, auf allen Ebenen: Einen Job, ein Umfeld, Freunde. Auf der Suche nach dem Fokus, den er verlegt zu haben scheint. Nur die Kultur begleitet ihn wie ein Schatten.
Entgegen der Unwägbarkeit, die sein Suchen umrandet, liegt um Mathé eine Aura von undefinierter Sicherheit, von Furchtlosigkeit. Doch angstbefreit ist er nicht. Er sieht nach Funkhaus aus, nach vielsagender Ruhe, nach sympathischer Eigenheit. Ein moderner Steppenwolf. Wartend - erwartend - sitzt er da, die langen Beine und Arme übereinander geschlagen. Es wird kalt, doch Mathé friert nicht. Das Gewicht seiner Suche scheint für ihn nicht notwendigerweise Risiken zu produzieren. Zumindest strahlt Mathé dies mit seinem vielsagenden, doch nicht greifbaren Blick aus. Suchen heißt, offen zu sein. Das Gesuchte auf einen zukommen zu lassen.
„Die leere Fläche darf so sein - sie füllt sich von allein. So lang’ es regnet und die Sonne scheint. Solange die Leute einfach so meinen Weg passieren.“ Ein ironisches Lächeln fliegt über seine Lippen. Findende Augen gleiten wissend den Horizont entlang. Er ist kein Sucher.